lespress 122002 barbara wilson (2024)

lespress 122002 barbara wilson (1)Barbara Wilson gehörteviele Jahre lang zur Speerspitze der lesbischen Krimiautorinnen. Mit ihren beidenReihen um die Detektivinnen Pam Nilsen auf der einen und Cassandra Reilly auf deranderen Seite lieferte sie nie nur Standardware ab. Die Pam-Nilsen-Bücher griffenimmer brisante und umstrittene Themen auf, als eine der ersten verknüpfte Wilsondamit politische Themen mit Krimihandlungen. In "Der Porno-Kongress" ginges zum Beispiel um die lesbische SM-Szene, in "Schwestern der Straße"um minderjährige Prostituierte.
Aber die Autorin schrieb auch locker-lustige Krimis: Übersetzerin und Hobby-DetektivinCassandra Reilly war in ganz Europa unterwegs und löste in jedem Buch einenFall in einer anderen Stadt. Ihre turbulenten Abenteuer waren dennoch nicht oberflächlich-harmlos:In "Ein Nachmittag mit Gaudi" griff Wilson sehr früh das Transgender-Themaauf.
Darüber hinaus hat Barbara Wilson auch tiefsinnig-politische Romane geschrieben:So erzählt "Unbescheidene Frauen" vom Schicksal mehrerer Frauen, dieum ihre Autonomie ringen. In "Äpfel und Apfelsinen" geht es um dieschmerzvolle Loslösung aus einer langjährigen Beziehung.
In den letzten Jahren wurde es stiller um ! Für Aufsehen sorgte beim letzten"Verzaubert-Filmfest" die Verfilmung des Buchs "Ein Nachmittag mitGaudi" . Untätig ist die umtriebige Autorin auch sonst nicht gewesen. ImLespress-Gespräch erzählt sie, was sie beschäftigt und woran sie arbeitet.

? Seit der Veröffentlichung Deines letzten Romans in Deutschland sind ein Jahrevergangen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Barbara ! 1997 habe ich in den USA die Erinnerungen an meine Kindheit veröffentlicht,"Blue Windows". Seitdem habe ich eher Geschichten und Essays geschrieben,die keine "Fiction" sind. Die Essays sind in Anthologien und literarischenZeitschriften erschienen, wurden aber noch nicht in einem Buch gesammelt.

? Arbeitest Du gerade an einem neuen Buch?

! Ich habe gerade ein Buch abgeschlossen, das halb Reiseerzählung und halb biografischist. Es spielt während einer Seereise auf dem Nordatlantik. Meine Großelternwaren schwedisch und irisch und ich spreche norwegisch. So bin ich vier Monate herumgereistund habe Material über Frauen auf See gesammelt. Das hat mein Interesse fürdas Thema Frauen und See geweckt. Jetzt stelle ich gerade zwei Kollektionen zusammen,eine mit historischen, eine mit zeitgenössischen Geschichten von seefahrendenFrauen.

? Schreibst Du denn gar keine Belletristik mehr?

! Mich interessiert Fiction heute weniger als früher. Damals habe ich die Möglichkeitgeliebt, viele verschiedene Standpunkte und Stimmen in einem Roman aufzeigen unddamit politische und soziale Ideen ausdrücken zu können. Aber jetzt habeich angefangen, mit meiner eigenen Stimme zu sprechen und gemerkt, dass mir das großeBefriedigung gibt. Und obwohl ich früher als lesbische Autorin sehr bekanntwar, kennt man mich jetzt auch für meine Essays und meine Memoiren.

? Ich weiß, dass Du genauso gerne reist wie Deine Romanheldin Cassandra Reilly.

! Ich habe Reisen immer geliebt und träume eigentlich dauernd davon ó obwohlich mein Haus, meine FreundInnen und Seattle liebe und immer Heimweh habe, wenn ichweg bin.

? Welche Orte auf der Welt magst Du am liebsten?

! Zur Zeit interessiere ich mich sehr für die kalten Plätze auf der Erde.Ich habe letzten Winter drei Monaten in Schweden, Finnland und Norwegen verbracht. Ich war früher sehr an Städten interessiert, und ich kenne alle Städtein Europa ziemlich gut. Heutzutage mag ich anscheinend mehr den offenen Raum. Ichbin im Westen der USA, in Kalifornien, aufgewachsen und habe jahrelang am Pazifikim Nordwesten gewohnt. Ich wandere dort gern durch den Regenwald und träumevon einem langen Kajak-Abteuer in Alaska. Außerdem würde ich gerne eineRafting-Tour auf dem Colorado-Fluss machen, um das Cap Horn herumreisen und Neuseeland,China und Afrika besuchen...

? Was hälst Du von der Verfilmung Deines Buchs "Gaudi Afternoon"?Die Figuren wurden ja doch sehr verändert im Vergleich zum Buch.

! Ich hatte Spaß am Film "Gaudi Afternoon". Natürlich war dasnicht mehr länger mein Roman, aber ich bin verblüfft, dass der Film überhauptgedreht wurde, wenn man bedenkt, wie schwierig so etwas ist. Es war lustig, dieDreharbeiten in Barcelona zu sehen und Judy Davis und Marcia Gay Harden zu treffen.Judy Davis ist sehr radikal und sie war sehr beeindruckt, dass ich während feministischerDemonstrationen Tränengas abgekriegt hatte. Es gab also eine Verbindung zwischenuns! Ich war auch fasziniert, dass ich Susan Seidelman beim Regieführen zusehenkonnte. Ich habe früh gemerkt, dass sie das Projekt völlig anders gesehenhat als ich in meinem Buch geschrieben habe.

? Weil sie die lesbische Hauptfigur verändert hat?

Wislon: Als Hetero-Frau war sie mehr an der Mutter-Tochter-Familien-Geschichte interessiertund hat das herausgestellt. Man hat ihr und Drehbuchautor James Myhre so oft gesagt,dass ein Film mit einer lesbischen Hauptfigur nie verwirklicht werden könnteó bis sie es geglaubt und die Cassandra-Figur verändert haben. Ironischerweisewaren lesbische und schwule HauptdarstellerInnen viel akzeptierter, als der Filmdann herauskam ó und er wurde ein Hit bei den Queer-Film-Festivals. Die Communitymochte ihn sehr ó was für ein Jammer, dass er nicht so queer wie der Roman seinkonnte!

? Du hast ja 1974 den feministischen Verlag Seal Press mitbegründet. Warum hastDu ihn verlassen?

! Ich habe Seal Press 1996 verlassen, um mich mehr meinem eigenen Schreiben widmenzu können. Seit Seal an Avalon verkauft wurde, habe ich mitgeholfen, das Archivmaterialzu organisieren, es geht an eine College-Bibliothek. Das war für mich wie einRückblick auf die Wichtigkeit der feministischen Presse-Bewegung ó und auf alldie Veränderungen, die es beim Herausgeben und im Druck in den letzten 25 Jahrengegeben hat. Die andere Gründerin Rachel da Silva und ich sind immer noch guteFreundinnen ó sie ist heute als Anwältin tätig. Eine unser Autorinnen,Ginny NiCarthy, die wichtige Arbeit zum Thema häusliche Gewalt geleistet hat,ist gerade als Teil einer Friedensgruppe in den Irak abgereist ó sie ist 75! Dieganzen Kontakte und die politische Energie sind also immer noch da.

? Du hast vor 20 Jahren begonnen, lesbische Romane zu schreiben. Hat sich seitdemDeiner Meinung nach vieles zum Besseren gewendet?

! Als ich angefangen habe, offen als Lesbe über lesbische Themen zu schreiben,habe ich mich wie in einem Grenzgebiet gefühlt. Ich denke, das tue ich immernoch, obwohl 20 Jahre eine Menge Veränderungen in der Gesellschaft gebrachthaben. Und alles zum besseren, bezogen auf die Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben.Trotzdem würde ich mir wünschen, dass sich noch mehr verändert hätte. Es gibt immer noch kein großes Publikum für lesbische Literatur, inder Lesbischsein wirklich im Mittelpunkt steht. Keine offen lesbische Autorin kannso viel Anerkennung und Geld bekommen, wie sie verdient. Die meisten könnennicht mal davon leben. Eine Menge der lesbischen Literatur aus den 80ern und frühen90ern ist heute nicht mehr erhältlich.

? Aber global gesehen hat sich ja doch einiges getan, oder?

! Was Lesben auf der ganzen Welt betrifft ó nun, das ist schwer zu sagen. Ich möchtegerne glauben, dass alles ein bisschen einfacher ist, vor allem wegen des Internets.Ich bin sicher, einige der Frauen an den Computern, die man auf Fotos aus dem Iransieht, erforschen eigentlich ihre Sexualität!

? Was machst Du, wenn Du keine Bücher schreibst oder reist?

! Meine Hobbies werden Dich sicher überraschen! Ich bin eine begeisterte Gärtnerin,ich male und zeichne, ich lerne eine Menge über Botanik ó und wenn ich reise,versuche ich Wildblumen und Pflanzen zu identifizieren. Da ich ein Haus habe, weißich auch eine Menge über das Bauen und Werken. Ich lese gerne, Natalie Ginsburg,Colette, Willa Cather, Thoreau sind einige meiner Favoriten. Bei den lesbischen Autorinnenmag ich Judith Barrington, Lucy Jane Bledsoe... Und ich bewundere Jane Rule ganzschrecklich, für ihr Leben und ihre Arbeit.

? Deine Cassandra-Reilly-Bücher sind nicht nur spannend, sondern auch sehr witzig.Bist Du selbst eine humorvolle Person?

! Ja, ich werde für eine lustige Person gehalten, aber im Cassandra Reilly-Sinn:Ernsthaft, sogar melancholisch. Das muss meine irische Seite sein!

Claudia Frickel


Bibliographie der deutschen Bücher (alle bei ariadne/Argument erschienen):

Pam Nilsen: Mord im Kollektiv
Der Porno-Kongress
Schwestern der Straße

Cassandra Reilly:
Ein Nachmittag mit Gaudi
Trubel in Transylvannien
Ein Abend mit Vivaldi
Belladonna ó Neun Reisen mit Cassandra

Romane: Äpfel und Apfelsinen
Träum ich von Familie
Unbescheidene Frauen

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Author: Frankie Dare

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